Das Ensemble des Meininger Theaters

Die Stadt Meiningen liegt im Süden Thüringens und war Hauptstadt des Herzogtums Sachsen-Meiningen. Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts sah die Theaterlandschaft der Stadt eher öde aus. 1860 bekam das Hoftheater dann ein eigenes Ensemble, und 1866 übernahm Herzog Georg II. die künstlerische Leitung des Theaters.

Herzog Georg II. war es auch, der die ästhetischen und stilistischen Kriterien des Hauses festschrieb. Von ihm stammte ein Großteil der Entwürfe für Bühnenbilder und Kostüme sowie für die Stellungen und Bewegungen der Personen auf der Bühne. Außerdem legte er besonderen Wert auf die Farbkomposition, deshalb fanden auch sämtliche Proben mit Beleuchtung,Bühnenbild und in Kostümen statt. Ellen Franz, eine der Schauspielerinnen des Ensembles, war treue Mitarbeiterin des Herzogs und sollte später seine Ehefrau werden. Ihr Einfluss innerhalb des Meiningen Theaters war wesentlich: Sie war es, die bestimmte, welche Texte und/oder Übersetzungen auf die Bühne kamen. Außerdem bildete sie das Ensemble in Darstellung und Ausdrucksweise aus. Der Komiker Ludwig Chronegk war ebenfalls Teil des Ensembles. Auf Anraten von Ellen Franz wurde er 1871 von Georg II. zum Regisseur des Theaters ernannt. Er war der ideale Ausführer der herzoglichen Ideen und Vorstellungen und organisierte zudem die zahlreichen Tourneen des Theaters. Die Produktionen dieser Zeit müssen in kreativer Hinsicht als Ergebnis der gegenseitigen Befruchtung dieser drei Persönlichkeiten angesehen werden.

Die drei leisteten immense Arbeit. Bevor die Proben begannen, trafen sich Georg II., Ellen und Chronegk, um gemeinsam das Stück zu analysieren, zu diskutieren und die Grundzüge der Inszenierung festzulegen (die dann letztlich vom Herzog ausgearbeitet und bestimmt wurde). Vor den Proben wurde kein Regiebuch erstellt, vielmehr nahm man die Entwürfe des Herzogs und die Gespräche mit seinen Mitarbeitern als Arbeitsgrundlage; dabei hatte der Herzog stets das letzte Wort, wenn es um die Ablauf der Proben ging.

Den Proben wurde enorm viel Zeit eingeräumt, pünktlich zu erscheinen war unabdingbar. Meist saß das gesamte Ensemble zu Probenbeginn im Parkett zusammen; ganz vorne saß Chronegk zusammen mit einem Souffleur, der den Schauspielern Anweisungen gab. Ganz hinten im Parkett saßen der Herzog und seine Frau. Bereits am ersten Probentag war alles fertig: Bühnenbild, Kostüme, Beleuchtung – und man versuchte, das Stück einmal komplett durchzuspielen, damit sich alle ein umfassendes Bild machen konnten. Im weiteren Probenverlauf wurden die Szenen dann einzeln durchgearbeitet, bis man gegen Ende in mehreren Generalproben nochmals den kompletten Durchlauf probte.

Obschon der Herzog das letzte Wort behielt, hatte er nicht nur immer ein offenes Ohr für die Vorschläge der Schauspieler, sondern sorgte auch dafür, dass die verschiedenen Lösungsvorschläge in die Proben aufgenommen wurden. Solange sie in sein Inszenierungskonzept passten, stand der Herzog neuen Ideen, die im Probenverlauf eingebracht wurden, sehr offen gegenüber und bezog sie durchaus mit ein. Nach Beendigung der Probenzeit wurde die Inszenierung ständigen Wandlungen unterworfen, die das Schauspiel verbessern sollten. Die Aufführung von „Julius Cäsar“ von Shakespeare, eine der wichtigsten Darbietungen der Meininger, wurde mehr als zwei Jahre lang vorbereitet.

Bis zu dieser Zeit waren die Schauspieler eine völlig andere Arbeitsweise gewohnt. Wie Barnay in seinen Memoiren festhält, „begnügten sich die Regisseure bislang damit, ordnungsgemäß festzulegen, ob der Schauspieler nun links oder rechts von seinem Spielpartner die Bühne betreten und durch welche Türe er wieder abtreten solle. Was alles Weitere betraf, so setzten sie ihre Hoffnungen auf den Willen Gottes und die Gabe Schillers.“ 9 Die neue Arbeitsweise muss sich also deutlich vom bisherigen Vorgehen abgehoben haben.

Barnay deutet an, dass er selbst anfangs wenig begeistert war, da in den Proben nun viel Wert auf Dinge gelegt wurde, die seiner Meinung nach „absolut unbedeutend und bar jeder Wichtigkeit und jeden Wertes“ waren: „Plötzlich legte man Wert auf das Anheben und Senken der Stimme, auf das Verhalten und die Stellung auf der Bühne irgendeiner Nebenfigur. Den Schauspielern wurden lange Vorträge gehalten über den vorherrschenden Humor und die allgemeine Stimmung, über die Bedeutung dieser oder jener dramatischen Episode, ja sogar über die Betonung dieses oder jenen Wortes, und so zogen sich die Proben bis ins Unendliche hin.“ 10

Grube berichtet von einer Anekdote, die sich während der Proben zu „Wilhelm Tell“ von Schiller ereignete: „Einmal wurde einer Schauspielerin, die noch keine Erfahrung mit den Methoden des Herzogs hatte, die Rolle der Berta von Bruneck zugeteilt. Der Herzog hatte die Szene, die an einer felsigen Schlucht spielt, so angeordnet, dass Berta auf einem Felsen sitzt und Rudenz, auf seine Lanze gestützt, vor ihr steht […] An diesem Punkt hätte ein professioneller Regisseur gesagt: ‚Setzen Sie sich, gnädige Frau!‘ Der Herzog aber, der sich an der Handlung der Figuren orientierte, meinte zu ihr: ‚Sie sind müde.’ ‚Aber nein, keineswegs, Eure Hoheit’, antwortete sie, im Glauben, der Herzog habe einen Anflug von Erschöpfung in ihrer Stimme wahrgenommen. Daraufhin meinte er: ‚Sie kommen eben von einer Jagdgesellschaft.’ ‚Nein, verzeihen Sie, Eure Hoheit, ich komme aus Coburg.‘ 11

9 G. N. Boiadzhiev y A. Dzhievelegov, „Historia del teatro europeo“, Ediciones Mar Océano, tomo 5, Buenos Aires 1963, S. 152

10 G.N.BoiadzhievyA.Dzhievelegov,„Historiadelteatroeuropeo“,EdicionesMarOcéano, tomo 5, Buenos Aires 1963, S. 16

11 MaxGrube,„GeschichtederMeininger“,zitiertnach:G.N.BoiadzhievyA.Dzhievelegov, „Historia del teatro europeo“, Ediciones Mar Océano, tomo 5, Buenos Aires, 1963, S. 180

 

 

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